In einem großen Königreich herrschte ein mächtiger König, der nur eine Tochter hatte. Um für sie einen tapferen Bräutigam zu finden, ließ er einen Kristallberg errichten und verkündete, dass derjenige, der ihn ohne Sturz überqueren könne, die Hand seiner Tochter erhalte. Viele versuchten es, doch keiner hatte Erfolg. Unter den Mutigen war auch ein junger Mann, der die Prinzessin liebte. Er bat den König um ihre Hand, und dieser willigte ein, wenn es ihm gelänge, den Berg zu überwinden.
Die Prinzessin liebte ihren Bewerber ebenfalls und beschloss, ihn auf seinem Weg zu unterstützen. Gemeinsam begannen sie, den glatten Berg zu erklimmen, doch als sie die Hälfte erreicht hatten, rutschte die Prinzessin aus. Der Boden tat sich unter ihr auf, und sie verschwand in der Tiefe. Ihr Verlobter versuchte, sie festzuhalten, doch es war zu spät – der Berg schloss sich über ihr und verschlang sie spurlos. Der König befahl, den Berg zu zerschlagen, aber niemand konnte die Stelle finden, an der die Prinzessin verschwunden war.

Sie fiel tief in die Erde, bis sie in einer verborgenen Höhle landete. Dort wartete ein seltsamer Greis mit langem grauem Bart und scharfen Augen. „Wenn du mir dienst und alles tust, was ich dir befehle, lasse ich dich am Leben“, sagte er. „Andernfalls nehme ich dir dein Leben.“ Die Prinzessin hatte keine andere Wahl als einzuwilligen.
Jeden Morgen zog der Mann eine zusammenklappbare Leiter aus seiner Tasche, stellte sie an einen Spalt im Berg und kletterte hinaus. In der Zwischenzeit musste die Prinzessin fegen, kochen und sein Haus in Ordnung halten. Jeden Abend kehrte er mit Gold und Silber zurück, das er von irgendwoher draußen holte. Viele Jahre vergingen, und die Prinzessin wurde alt. Der Greis begann, sie „Frau Höhle“ zu nennen, während sie ihn „Alter Griesgram“ nannte.
Eines Tages, als der Alte fort war, räumte die Prinzessin wie gewohnt das Haus auf, wusch das Geschirr und machte sein Bett. Doch diesmal blieb sie nicht still sitzen – sie schloss alle Fenster und Türen, bis auf eine kleine Öffnung, durch die etwas Licht hereinfiel. Als der Alte zurückkehrte, klopfte er an die Tür und rief:
„Frau Höhle, öffne mir!“
Doch die Prinzessin antwortete:
„Nein, Alter Griesgram, ich öffne dir die Tür nicht.“
Da lief der Alte um das Haus und rief:
„Hier steh ich, armer Griesgram,
auf meinen zwanzig alten Zehen,
auf meiner müden, zerschlissenen Ferse,
mach mir das Essen, Frau Höhle!“
Doch die Prinzessin antwortete:
„Dein Essen ist schon bereitet.“
Darauf rief er:
„Hier steh ich, armer Griesgram,
auf meinen zwanzig alten Zehen,
auf meiner müden, zerschlissenen Ferse,
mach mir das Bett, Frau Höhle!“
„Dein Bett ist schon gemacht.“
Schließlich schrie er:
„Hier steh ich, armer Griesgram,
auf meinen zwanzig alten Zehen,
auf meiner müden, zerschlissenen Ferse,
öffne die Tür, Frau Höhle!“
Doch die Prinzessin weigerte sich immer noch.
Da bemerkte der Alte, dass eine kleine Öffnung im Felsen offen geblieben war. Er dachte, er könne hineinschauen, um zu sehen, was das Mädchen dort trieb. Er versuchte, seinen Kopf hindurchzustecken, aber sein langer Bart hielt ihn zurück. Zuerst schob er also seinen Bart durch die Öffnung, doch in diesem Moment zog die Prinzessin heftig an dem Seil, das sie an der Klinke befestigt hatte, und klemmte den Bart fest.
Der Alte schrie vor Schmerz und begann zu flehen, sie möge ihn loslassen.
„Nein, erst wenn du mir sagst, wo du die Leiter versteckst,“ antwortete die Prinzessin.
Der Alte hatte keine Wahl und verriet ihr, wo die Leiter verborgen war. Kaum hatte er es gesagt, ließ die Prinzessin ihn los, holte die Leiter hervor und kletterte nach draußen.
Sofort kehrte sie zu ihrem Vater zurück und erzählte ihm alles, was ihr widerfahren war. Der König war überglücklich, und ihr Verlobter, der sie noch immer suchte, konnte endlich ihre Rückkehr feiern. Auf Befehl des Königs wurde der Kristallberg zerschlagen, und in seinem Inneren fanden sie den Alten mitsamt seinem riesigen Reichtum. Der König ließ ihn einsperren und schenkte das Gold und Silber seiner Tochter als Mitgift.
Schließlich heiratete die Prinzessin ihren treuen Verlobten, und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.